Sie verhandelt - die Beschaffung gewinnt
Gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede im Verhandlungsstil - und können diese Unterschiede für die Beschaffung von Nutzen sein? Die Forschung legt nahe, dass dies der Fall ist, vor allem wenn Unternehmen die unterschiedlichen Stärken erkennen und unterstützen. Eigenschaften, die oft als „weiblich“ beschrieben werden, wie Einfühlungsvermögen, Beziehungsorientierung und langfristiges Denken, sind für die heutigen Herausforderungen im Beschaffungswesen zunehmend relevant. In diesem Artikel gehen wir den Hinweisen nach und überlegen, wie Beschaffungsteams das Beste aus den unterschiedlichen Ansätzen machen können.
Was verstehen wir unter „anders“?
Wenn wir über Unterschiede in den Verhandlungsstilen sprechen, geht es eigentlich um Herangehensweise, Motivation und Verhalten. Und diese werden oft dadurch geprägt, wie die Menschen von klein auf sozialisiert werden.
In vielen westlichen Kulturen werden Mädchen dazu erzogen, rücksichtsvoll, beziehungsorientiert und entgegenkommend zu sein. Jungen hingegen werden oft ermutigt, wettbewerbsorientiert, durchsetzungsfähig und unabhängig zu sein. Diese frühen Botschaften verschwinden nicht, wenn wir ins Berufsleben eintreten. Am deutlichsten zeigen sie sich in Momenten mit hohem Druck wie Verhandlungen.
In der Praxis zeigt die Forschung, dass Frauen eher dazu neigen, der Aufrechterhaltung einer positiven Beziehung Priorität einzuräumen, Empathie zu zeigen und eine gemeinsame Basis zu suchen. Sie sind oft eher bereit zu kooperieren und legen in der Regel großen Wert auf Fairness und Ethik. Männer hingegen sehen Verhandlungen eher als Nullsummenspiel an und konzentrieren sich stärker auf das Endergebnis.

Dies sind natürlich nur grobe Verallgemeinerungen. Die individuellen Stile sind sehr unterschiedlich, und die effektivsten Verhandlungsführer bedienen sich oft beider Ansätze. Aber das Verständnis dieser Tendenzen kann Teams helfen, den Wert verschiedener Perspektiven besser zu erkennen.
Ist anders gleich schlechter?
Die kurze Antwort lautet nein - aber der Kontext spielt eine Rolle.
Einige Untersuchungen haben ergeben, dass Männer bei Verhandlungen tendenziell etwas bessere wirtschaftliche Ergebnisse erzielen als Frauen. Die Unterschiede sind jedoch relativ gering und stark vom Verhandlungsumfeld geprägt. Mit anderen Worten: Frauen sind nicht weniger fähig zu verhandeln, aber die Umstände einer Verhandlung können beeinflussen, wie sie abschneiden und ob sie sich überhaupt für eine Verhandlung entscheiden.
Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal ist die Initiative. Frauen ergreifen im Allgemeinen seltener die Initiative zu einer Verhandlung als Männer, aber dieser Unterschied verringert sich, wenn klar ist, dass eine Verhandlung erwartet wird oder angemessen ist, und vor allem, wenn die Situation mit den traditionellen weiblichen Geschlechterrollen übereinstimmt.

Aber vielleicht am überzeugendsten ist Folgendes: Frauen sind nachweislich erfolgreicher, wenn sie im Namen anderer verhandeln. Die Forschung zeigt, dass sie in solchen Szenarien deutlich bessere Ergebnisse erzielen - mehr als Männer in vergleichbaren Rollen. In diesen Momenten wird aus dem scheinbaren „Kätzchen“ eine Löwin. Der fürsorgliche Ansatz, zu dem Frauen oft sozialisiert werden, wird zu einer großen Stärke, wenn sie ihr Team oder ihre Organisation vertreten.
Natürlich handelt es sich hierbei um grobe Muster - keine festen Regeln - und individuelle Stile sind unterschiedlich. Sie verdeutlichen jedoch, wie unterschiedliche Ansätze einen echten strategischen Wert bieten können, wenn sie auf den richtigen Kontext abgestimmt sind.
Im Beschaffungswesen - wo Beziehungen, Vertrauen und langfristiger Wert entscheidend sind - ist diese Stärke besonders wertvoll.
Wie können Beschaffungsteams „anders“ in Verhandlungen erfolgreich einsetzen?
Die Aussichten für Frauen im Beschaffungswesen in Deutschland sind immer noch ernüchternd: Frauen stellen 37 % aller Beschaffungsfachleute und nur 14 % der Chief Procurement Officers. Dabei können gerade die Qualitäten, die viele Frauen in die Verhandlungen einbringen, ein großer Vorteil sein.
Anstatt sich auf ein Einheitsmodell zu verlassen, können Beschaffungsteams davon profitieren, zu erkennen, wann und wie unterschiedliche Verhandlungsstile am besten funktionieren. Zum Beispiel:
- Langfristige Verhandlungen mit Lieferanten: Die Stärke von Frauen beim Aufbau von Vertrauen und der Pflege von Beziehungen kann zu nachhaltigeren Vereinbarungen führen.
- ESG- und Compliance-Diskussionen: Einfühlungsvermögen und ethischer Rahmen helfen oft dabei, die Werte mit den Verpflichtungen der Lieferanten in Einklang zu bringen.
- Funktionsübergreifende interne Verhandlungen: Beim Umgang mit widersprüchlichen Prioritäten zwischen Abteilungen ist ein kooperativer und auf Fairness ausgerichteter Ansatz oft effektiver.
- Krisen- oder Konfliktsituationen: Frauen sind oft in der Lage, Spannungen zu deeskalieren und unter Druck eine gemeinsame Basis zu finden.
- Vertretung von Teams: Frauen, die im Namen ihres Teams oder ihrer Organisation verhandeln, erzielen oft bessere Ergebnisse, da sie Sorgfalt und Verantwortung als ihre Stärken nutzen.
Die Teams sollten die Rollenverteilung nicht nur nach Dienstalter oder Durchsetzungsvermögen, sondern auch nach kontextuellen Stärken vornehmen. In einigen Fällen kann es sinnvoll sein, dass Frauen die Verhandlung leiten, in anderen eine Brückenfunktion oder die Rolle des Stakeholder-Managements übernehmen. Es geht nicht darum, Stereotypen zu schaffen, sondern darum, vielfältige Teams zu bilden, die die Menschen bewusst an die Situation anpassen.

Ein vielfältigeres Beschaffungsteam führt auch zu echten Kosteneinsparungen. Unternehmen mit Beschaffungsteams, die zu 40-50 % aus Frauen bestehen, erzielen durchschnittliche jährliche Einsparungen von 5,7 %, verglichen mit nur 3 % in Teams mit einem Frauenanteil von weniger als 20 %, so eine KMU/Oliver Wyman-Umfrage unter europäischen Beschaffungsleitern.
Überdenken, was „gut“ bedeutet
Traditionelle Vorstellungen von Verhandlungen fördern oft Durchsetzungsvermögen und Dominanz. Doch die kommenden Herausforderungen erfordern ein anderes Instrumentarium.
Die Beschaffung wird immer komplexer: instabile Lieferketten, zunehmende ESG-Anforderungen, globale Risiken, digitale Transformation und erhöhter Kostendruck. Wer sich in dieser neuen Landschaft zurechtfindet, muss agil, kollaborativ und ethisch fundiert sein. Der Erfolg hängt zunehmend von der Fähigkeit ab, belastbare Lieferantenbeziehungen aufzubauen, die Bedürfnisse der Stakeholder zu integrieren und unter Druck transparent zu kommunizieren.

Das sind genau die Bereiche, in denen sich viele Frauen auszeichnen. Einfühlungsvermögen, sorgfältige Vorbereitung, langfristiges Denken und der Aufbau von Beziehungen sind keine „weichen“ Fähigkeiten mehr - sie sind strategische Fähigkeiten.
Wenn wir den Blick dafür schärfen, wie eine „gute“ Verhandlung wirklich aussieht, wird die Beschaffung stärker, anpassungsfähiger und nachhaltiger. Es ist an der Zeit, veraltete Modelle hinter sich zu lassen und Teams zu bilden, die der Komplexität - und den Möglichkeiten - der modernen Beschaffung gerecht werden.
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